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Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite

Mehrere Mitgliedsgesellschaften der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin sind vom Bundesministerium für Gesundheit um eine Stellungnahme zum Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gebeten worden. Hier finden Sie die Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ), die die gesamten deutschen Kinder- und Jugendmedizin vertritt.

Die DAKJ begrüßt, dass weitere Regelungen mit Gesetzeskraft auf den Weg gebracht werden sollen. Insbesondere begrüßen wir eine Stärkung des Robert Koch-Instituts (RKI). Bei einzelnen Punkten gibt es aus Sicht der Kinder- und Jugendmedizin Änderungs- und/oder Ergänzungsbedarf, die im Folgenden aufgelistet werden.

Wir geben folgendes zu Bedenken:

Die auf Seite 2 des Entwurfes beschriebene Meldepflicht wird mit hohem Aufwand hinsichtlich Personal und Kosten verbunden sein. Dies gilt auch bezüglich der geforderten Testung. Völlig unklar ist die Frage der Handhabung einer „symptomunabhängigen“ Diagnostik. Klarzustellen ist, dass die Indikation immer durch einen Arzt (aus Praxis, Klinik, ÖGD…) zu stellen ist. Die Abrechnungsmöglichkeit über die GKV durch den ÖGD erfordert eine entsprechende technische Anbindung. Es ist sinnvoll, dann direkt die Anbindung an die elektronische Patientenakte für den ÖGD vorzusehen.

Die Dokumentation eines Immunstatus ist grundsätzlich zu begrüßen, auch hier ist ein nicht berücksichtigter Mehraufwand zu beachten. Der Zugang zur Immunstatusüberprüfung ist zweifelsfrei zu regeln

Auf Seite 4 des Entwurfes wird von 4,5 Mio Testungen pro Woche ausgegangen, die dann entsprechend zu bearbeiten und zu verfolgen sind. Die nach § 5 vorgesehenen „Maßnahmen zur Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes (sowie die Absicht,)  Gegenstände zur technischen Modernisierung in den Behörden und zum Anschluss an das elektronische Melde- und Informationssystem nach § 14 IfSG zur Verfügung zu stellen … sowie kurzfristige Personalmaßnahmen“ sind damit völlig unzureichend und unrealistisch beschrieben. Eine Nachverfolgung und die Beratung von Betroffenen durch nicht qualifiziertes Personal werfen zusätzliche Realisierungsfragen auf.

Gut ist die Beplanung von mehr Influenzaimpfstoff für die nächste Saison und die Aufhebung der sogenannten Richtgrößen auf Seite 4 des Entwurfes. Durch entsprechende Planungen mit der Industrie ist sicher zu stellen, dass die entsprechenden Impfdosen auch geliefert werden können. Hier sind frühzeitig mit den wenigen verbleibenden Firmen Verträge zu schließen.

Zur Meldepflicht nach dem IfSG auf Seite 7 des Entwurfes ist folgendes anzumerken:

Die derzeitigen Verpflichtungen aus dem IfSG haben den Erfüllungsaufwand bereits massiv gesteigert, die regulären Aufgaben des ÖGD sind nur sehr eingeschränkt durchführbar. Eine umfangreiche Erweiterung der Meldepflicht (§§ 6, 11) über den Verdacht einer Erkrankung „Tag der Verdachtsmeldung, Angabe, wenn sich ein Verdacht nicht bestätigt hat“, eine Erkrankung selbst „die Erkrankung sowie der Tod“, den Krankheitsverlauf bzw. den „Tag der Genesung“ ist vorgesehen, zudem „negative Laborergebnisse, einschließlich der neu durch Tiermediziner gestatteten Labordiagnostik (§5b). Neben der nach § 11 vorgesehenen „Vervollständigung und Zusammenführung“ der Daten durch den ÖGD werden die Aufgaben gemäß § 19 im Zusammenhang mit Covid-19 beschrieben. „Das Gesundheitsamt bietet … Beratung und Untersuchung an oder stellt diese in Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Einrichtungen sicher. Diese sollen für Personen, deren Lebensumstände eine erhöhte Ansteckungsgefahr für sich oder andere mit sich bringen, auch aufsuchend angeboten werden und können im Einzelfall die ambulante Behandlung umfassen, soweit dies zur Verhinderung der Weiterverbreitung der übertragbaren Krankheit erforderlich ist“.

Prüfquotensystem MDK

Hinsichtlich der auf Seite 6 genannten Verschiebung der Einführung des Prüfquotensystems im Zuge der Einführung des MDK-Reformgesetz vom 14. Dezember 2019 sollte die pädiatrische Intensivmedizin davon getrennt betrachtet werden.

Weitere konkrete Vorschläge beziehen sich auf die Artikel 1, 3, 4 und 10 des o.g. Gesetzentwurfs.

Zu Artikel 1 – Änderung des Infektionsschutzgesetzes

§ 5 Absatz 2 Abschnitt ee Nr. 10

Die Intention der Ersetzung des üblichen Gesetzgebungsverfahrens durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates ist nicht ersichtlich, keinesfalls dürfen die Maßnahmen zu einem Qualitätsverlust in der Ausbildung führen.

§9 Absatz 1 Nummer 1 nach dem Buchstabe k ( die §§10 und 11 wären analog anzupassen)

„…wahrscheinlicher Infektionsweg, einschließlich Umfeld, in dem die Exposition wahrscheinlich stattgefunden hat und wahrscheinliche Infektionsrisiko…“ ggf. wie folgt ergänzen:…wahrscheinlicher Infektionsweg, einschließlich Umfeld, in dem die Exposition wahrscheinlich stattgefunden hat und wahrscheinliches Infektionsrisiko sowie Alter der Kontaktpersonen.“

Zu Artikel 3 – Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes

Zu Buchstabe b, Zu Absatz 2

Dass es einer fundierten und sachorientierten Überprüfung der Auswirkungen der mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz beschlossenen Maßnahmen bedarf, ist nachzuvollziehen.

Da die in den Klinik-Systemen geführten Daten nach § 21 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a KHEntgG, die Angaben zur Zahl der aufgestellten Betten und der Zahl der Intensivbetten umfassen, und § 21 Absatz 2 Nummer 2 KHEntgG, die die wesentlichen Leistungsdaten enthalten, abgefragt werden dürfte der damit verbundene Zusatzaufwand für die Krankenhäuser zu vertreten sein.

Zu Absatz 3

Ob es tatsächlich der vorgeschlagenen Sanktionsregelung bedarf, kann zumindest angezweifelt werden.

Zu Nummer 2

Diese Regelungen sind zu begrüßen, da sie der Tatsache Rechnung tragen sollen, dass es seitens der Kliniken derzeit organisatorisch nicht in jedem Behandlungsfall zu gewährleisten ist, dass die im OPS festgelegten Mindestmerkmale eingehalten werden können.

Zu Artikel 4 – Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch

Zu Nummer 1

Prävention wir hier im Entwurf auf Seite 57 als lässlich bezeichnet. Hier wird definitiv an der falschen Stelle gespart, da die Folgekosten mangelnder Prävention wesentlich höher ausfallen werden.

Regelung zu Sozialpädiatrischen Zentren und Kinder-Spezialambulanzen fehlt erneut

Grundsätzlich ist anzumerken, dass erneut die Sozialpädiatrischen Zentren und Kinder-Spezialambulanzen (Einrichtungen mit Vergütungen gem. § 120 Absatz 1a, Absatz 2, Absatz 3 und Absatz 3a) keine Berücksichtigung gefunden haben. Die Sozialpädiatrischen Zentren und die Kinder-Spezialambulanzen z.B. beklagen ab Mitte März 2020 Erlösausfälle aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie in Höhe von bis zu 80%.

Dass ausgerechnet Einrichtungen, die behinderte und chronisch kranke Kinder ambulant versorgen, erneut nicht berücksichtigt werden sollen, ist kaum noch nachzuvollziehen und sicherlich auch nicht sachlich zu begründen.

Sozialpädiatrische Zentren (SPZ), Kinder-Spezialambulanzen und kinder- und jugendpsychiatrische Institutsambulanzen (PIAs) nehmen genauso an der vertragsärztlichen Versorgung teil wie Vertragsärzte/-innen, Vertragszahnärzte/-innen oder Heilmittelerbringer, für die bereits Regelungen getroffen wurden. Lediglich die Finanzierung erfolgt nicht aus den KV-Budgets, sondern direkt durch die Landesverbände der Krankenkassen.

Auch hier kommt es zu massiven Fallzahleinbrüchen und Insolvenzen drohen.

Ähnliches gilt natürlich für alle Krankenhaus-/Institutsambulanzen, deren Finanzierung nicht oder nur anteilig aus dem KV-Budget heraus erfolgt (z.B. Hochschulambulanzen, psychiatrische Institutsambulanzen, MZEBs etc.).

Wir schlagen zu diesem Themenkomplex nachstehend eine Formulierung vor, die sich an den Regelungen des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes orientiert. Sinnvoll wäre eine Übergangsregelung in § 120 SGB V, z.B. als Absatz 6 wie folgt:

 Nach § 120 Absatz 5 wird folgender Absatz 6 eingefügt:

„(6) Soweit es in Einrichtungen mit Vergütung gem. Absatz 1a, Absatz 2, Absatz 3 und Absatz 3a aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie seit dem 16. März 2020 zu Ausfällen von Patiententerminen kommt, erhalten die Einrichtungen zunächst befristet bis 31.12.2020 auf Grundlage der durchschnittlichen Patientenzahlen des Vorjahres Ausgleichszahlungen.

Die Einrichtungen ermitteln die Höhe der Ausgleichszahlungen nach Satz 1, indem sie quartalsweise, erstmals für das 1. Quartal 2020, von der Zahl der im Jahresdurchschnitt 2019 abgerechneten Fälle der Krankenkassen (Referenzwert) pro Quartal die Zahl der im jeweiligen Quartal abgerechneten Fälle für ambulant behandelte Patientinnen und Patienten der Krankenkassen abziehen.

Sofern das Ergebnis größer als Null ist, ist dieses mit der für die jeweilige Einrichtung aktuell vereinbarten Vergütung zu multiplizieren und mit den Krankenkassen abzurechnen.

Zur Aufrechterhaltung der Versorgung ist die Durchführung von Video- und Telefonsprechstunden zulässig, auch, wenn diese in den Zulassungsbescheiden der jeweiligen Zulassungsausschüsse für Ärzte ausgeschlossen sind.“

In der Regel rechnen diese Einrichtungen Leistungen über individuell vereinbarte Quartalspauschalen ab. Ggfls. müsste es auch zu dieser Regelung eine Verordnungsermächtigung des Bundesgesundheitsministeriums (vergleichbar mit dem neuen § 23 KHG) geben, die Frist für die Übergangsregelung um bis zu 6 Monate zu verlängern.

Zu Nummern 16 – 18

Das zeitlichen Veränderungen bezogen auf die Einführung eines Prüfquotensystems sind zu begrüßen. Die Fristen und zeitlichen Vorgaben sollten jedoch zu Beginn des Jahres 2021 erneut überprüft werden, da derzeit nicht abzusehen ist, wann die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie auf das Leistungsgeschehen in den Krankenhäusern enden.

Zu Artikel 10 – Änderung der Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung

Zu Nummer 1

Die nun in § 3 Absatz 2a vorgesehene Regelung verbessert die Möglichkeit für Kliniken, als Träger der praktischen Ausbildung die Ausbildung in den Pflegeberufen anzubieten und ist daher zu begrüßen.

Zudem empfehlen wir eine  Ergänzung des Infektionsschutzgesetztes

Bezugnehmend auf Ihre Erläuterung zum vorbeugenden Schutz der Bevölkerung vor Influenza auf Seite 2 Ihres Gesetzentwurfes sollte im Rahmen der Regelungen zu Influenza folgendes ergänzt werden: Im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite kann der Bund Impfungen als „allgemein empfohlen“ deklarieren. Begründung: Während SARS-CoV-2 offensichtlich nicht wesentlich durch Kinder verbreitet wird, erkranken auch Kinder an Influenza und sind der wesentliche Amplifikator der jährlichen Influenza-Epidemien. Deshalb ist ein essentieller Schritt zur notwendigen Eindämmung der Influenza im kommenden Winter die allgemeine Impfung aller Kinder ab 6 Monate gegen Influenza.

Gewährleistung Versorgungsicherheit

Im Weiteren ist es ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber kurzfristig weitere Maßnahmen zur Verbesserung des Infektionsschutzes ergreift und dabei erneut die Sicherung der Gesundheitsversorgung mit in den Blick nimmt. Unter anderem sind Ergänzungen für die Krankenhäuser festzustellen. Parallel findet eine Liquiditäts- und Ertragssicherung der Zahnärzte statt, die sich aus dem Entwurf zu einer SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung ergibt. Die dortige Ertragssicherung folgt einem einfachen Grundmuster: Sicherung der Umsätze auf dem Niveau des Vorjahres zwecks Gewährleistung der Liquidität. Rückführung etwaiger Überzahlungen über zwei Jahre. Das führt zu einem in hohem Maße vorhersehbaren Zahlungsfluss, der vor wirtschaftlicher Überforderung schützt. Darin sehen wir einen Ausgleich für die Erfüllung der Sicherstellungsverpflichtung. Einem ähnlichen Grundmuster folgt auch die Finanzierungssystematik der Krankenhäuser. Auch sie zielt auf Ausgleiche unter Orientierung am Niveau aus 2019 durch schnell verfügbare Liquidität bei Feinjustierung im Nachgang.

Ein solches Grundmuster ist bei den Vertragsärzten zu vermissen. Die im Krankenhausentlastungsgesetz vorgesehenen Regelungen lassen unklar, in welchem Umfang tatsächlich Zahlungen und Ausgleiche zu erwarten sind. Zum Beispiel findet keine Festschreibung der Gesamtvergütung auf oder nahe des Niveaus 2019 statt. Auch findet keine kurzfristige Sicherung der Liquidität statt. Trotzdem sind die Ärzte „an der Front“ zusätzlichen Belastungen und Kosten ausgesetzt (Stichwort: Hygienematerial) und sollen und wollen der Bevölkerung ohne Einschränkung der Versorgungsverpflichtung zur Verfügung stehen. Zugleich ist aber verständlicherweise eine große Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme von Leistungen festzustellen. Die dann notwendigen Vorhaltekosten werden aber an keiner Stelle gesichert finanziert.

Folglich ist es angezeigt – wie bei den Krankenhäusern – auch für die Vertragsärzte nachzusteuern. Das Grundmodell und die Umsetzung bei den Zahnärzten zeigt ein brauchbares Muster: Festschreibung der Gesamtvergütung, Festschreibung von Abschlagszahlungen und begrenzte sowie gestreckte Rückführung von Überzahlungen, um die Vorhalteleistungen und Hygienemehrkosten auszugleichen.

Wir danken für die Möglichkeit Ihnen unsere Erkenntnisse und Einschätzungen mitteilen zu können und bitte um freundliche Beachtung.

Eine PDF Version unserer Stellungnahme finden Sie hier.