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Kommentar zum Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ), Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e. V., Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie e. V. (DGKED) und Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. (DGSPJ), Kommission für ethische Fragen des Bündnisses für Kinder- und Jugendgesundheit

Am 30. Juni wurde das Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums für Justiz zum Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt.
Grundsätzlich begrüßen wir das geplante Selbstbestimmungsgesetz sehr. Es bedeutet einen wichtigen Fortschritt für die betroffenen Menschen und wirkt der Pathologisierung und damit Stigmatisierung/Diskriminierung von transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen entgegen. Wir möchten allerdings in diesem Zusammenhang wichtige Aspekte von Kindern und Jugendlichen kritisch diskutieren.

Im Eckpunktepapier wird angekündigt, dass der Anwendungsbereich des neuen Selbstbestimmungsgesetzes keine Vorfestlegung hinsichtlich medizinischer Maßnahmen umfassen soll, da die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen hiervon unabhängig ist. Wir halten die alleinige Ankündigung für ungenügend. Es muss sichergestellt sein, dass Kindern, Jugendlichen und ihren Sorgeberechtigten bewusst gemacht wird, dass sich aus einer Änderung des Personenstandes kein Recht auf eine medizinische Behandlung ableiten lässt.

Das Eckpunktepapier sieht nicht vor festzustellen, ob es sich bei betroffenen Kindern oder Jugendlichen um einen transienten oder um einen persistierenden Wunsch handelt, einem anderen als dem zugewiesenen Geschlecht anzugehören. Da eine nicht ausreichend abgesicherte Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens zumindest ebenso belastend (und krankmachend) sein kann wie eine notwendige, aber nicht umzusetzende Entscheidung, ist eine solche Feststellung hinsichtlich des Kindeswohls unabdingbar.

Das Eckpunktepapier sieht aber nur dann eine Überprüfung vor, ob die Entscheidung eines Jugendlichen zur Änderung des Personenstandes mit ausreichender Verstandes- und Persönlichkeitsreife und damit selbstbestimmt erfolgt, wenn die Eltern dieser Entscheidung nicht zustimmen. Es ist jedoch auch bei einem Konsens nicht zwangsläufig gewährleistet, dass die Entscheidung zur Änderung des Personenstandes von einem Kind oder einem Jugendlichen tatsächlich selbstbestimmt und frei von äußerer Einflussnahme getroffen wurde.

Das Eckpunktepapier gibt keinen Hinweis darauf, wie festgestellt werden soll, dass insbesondere Kinder unter 14 Jahren eine ausreichende geistige Reife haben, um Bedeutung und Tragweite der Entscheidung zu einer Änderung ihres Personenstandes in vollem Umfang zu erfassen und ihre Entscheidung an dieser Kenntnis auszurichten. Selbst bei Jugendlichen über 14 Jahren kann man nicht prinzipiell davon ausgehen, dass eine solche Reife bereits vorhanden ist. Diese Feststellung ist jedoch wichtig, um sicher zu sein, dass die Änderung des Personenstandes eine wohlüberlegte und eigenverantwortliche Entscheidung der Betroffenen ist.

Das Eckpunktepapier gibt darüber hinaus auch keinen Hinweis darauf, wie eine Gefährdung des Kindeswohls durch Handlungen nach dem Selbstbestimmungsgesetz verhindert werden soll. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn Kinder und Jugendliche durch Dritte, sei es durch Medien oder in direktem persönlichem Kontakt, in der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität behindert oder beeinflusst oder bezüglich ihrer Geschlechtsidentität verunsichert werden.

Im Eckpunktepapier wird auf die zentrale Bedeutung von sachkundiger, ergebnisoffener und kostenloser Beratung für Minderjährige und ihre Eltern hingewiesen. Es soll sichergestellt werden,dass Eltern und Minderjährige vor der Entscheidung auf diese Beratung aktiv hingewiesen werden. Der alleinige Hinweis auf eine Beratung bietet nach unserer Auffassung allerdings keine ausreichende Gewähr, dass die Entscheidung zur Änderung des Personenstandes mit ausreichender Reife, ausreichendem Verständnis der Tragweite selbstbestimmt getroffen wurde. Die hohe Komplexität dieser Entscheidung und die enormen psychischen und sozialen Auswirkungen gebieten es, dass Kinder, Jugendliche und ihre Familien in jedem Falle fachkundige Hilfe in diesem Entscheidungsprozess erhalten. Bislang sind qualifizierte Beratungsmöglichkeiten keinesfalls flächendeckend verfügbar. Das im Eckpunktepapier angesprochene Recht auf eine Beratung dürfte schon deshalb häufig nicht zu realisieren sein. Nur durch eine Beratungspflicht für Kinder und Jugendliche und einer Selbstverpflichtung des Staates, die Voraussetzungen für diese Beratungspflicht zu schaffen, ist aus unserer Sicht sicherzustellen, dass eine Änderung des Personenstandes bei Kindern und Jugendlichen selbstverantwortlich und ohne Gefährdung des Kindeswohls erfolgt. Hierzu muss vor Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes gewährleistet sein, dass eine dem zu erwartenden Bedarf entsprechende Anzahl von fachkompetenten Stellen zur Verfügung stehen. Deren Finanzierung muss ebenfalls vor Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes geregelt und gesichert sein. Die Beratung muss analog zu den Vorschriften in §8a und §8b SGB VIII durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ mit nachgewiesener Qualifikation erfolgen.

Wir empfehlen eine Beratung durch Fachärzte und Fachärztinnen für Kinder- und Jugendmedizin, Kinderendokrinologie und Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. Psycholog:innen und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut:innen, die bereits seit vielen Jahren Kinder und Jugendliche mit Fragen zur Geschlechtsidentität betreuen und ggf. behandeln.