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Stellungnahmen Stellungnahmen der Kommission Infektionskrankheiten und Impffragen

Impfung von Kindern gegen Influenza in Deutschland

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Stellungnahme der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen im Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit e.V. (Bündnis KJG), Stand: September 2024

Federführung: Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz, Bremen

Die Infektion mit Influenza-Viren führt zu einer der wichtigsten akuten Atemwegserkrankungen während der winterlichen Saison in Deutschland. Kinder sind im Vergleich zu anderen Altersgruppen häufiger erkrankt, sie erkranken schwerer, ebenso wie auch die Senioren ab 60 Jahre, und sie geben die Infektion leichter an andere weiter, nicht zuletzt an Haushaltskontakte, innerhalb der Familie und in Gemeinschaftseinrichtungen, besonders Kitas und Schulen. Kinder tragen damit erheblich zu der Verbreitung der jährlichen saisonalen Influenzaepidemie bei (Reichert et al, 2001).

Mögliche Komplikationen der Influenza sind Pneumonie, Otitis media, Sinusitis, Myositis, Karditis, Enzephalitis, respiratorisches Versagen und Tod. Hauptsächlich betroffen davon sind im Kindesalter Säuglinge und Kleinkinder, besonders unter zwei Jahren. Für Frühgeborene besteht ein erhöhtes Risiko für eine Hospitalisation. Zudem sind Kinder mit bestimmten Grunderkrankungen stärker gefährdet, zum Beispiel bei Asthma, Immundefizienz oder Adipositas. Besonders gefährdet sind Neugeborene und ihre Mütter ab dem zweiten Drittel der Schwangerschaft und bei Risikofaktoren schon im ersten Drittel.

Die aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zum Schutz vor Influenza berücksichtigen besonders gefährdete oder exponierte Menschen (Ständige Impfkommission, 2023). Aktiv geimpft werden sollen unmittelbar vor oder am Beginn der Saison:

  • alle Menschen ab 60 Jahre und Heimbewohner,
  • alle Menschen mit Grunderkrankungen, bereits ab einem Alter von 6 Monaten, und deren Haushaltskontaktpersonen,
  • alle Schwangeren ab 2. Trimenon, bei Gefährdung schon ab 1. Trimenon, wodurch auch das Neugeborene geschützt wird,
  • medizinisches Personal und Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr.

Die Umsetzung dieses vielfältigen Programms ist nicht einfach. Insgesamt ist die allgemeine Impfquote für die Influenza-Impfung deutschlandweit zu niedrig. Die Rate der Kinder und Jugendlichen mit Grunderkrankungen, die gegen Influenza geimpft wurden, lag in den Jahren 2009 bis 2018 unter 20% (Akmatov et al, 2020; Grundhewer 2020). Etwa 23% der Schwangeren wurden in der Saison 2020/2021 geimpft, mit rückläufiger Tendenz (Rieck et al, 2021). Die durchschnittliche Impfrate des medizinischen Personals lag 2022/2023 bei 59% (RKI), bei Menschen mit Publikumsverkehr sind die Impfquoten nicht bekannt, vermutlich aber ebenfalls sehr niedrig.

Die derzeitigen Impfindikationen der STIKO umfassen fast alle durch Influenza besonders gefährdeten Personen. Nicht genannt werden jedoch gesunde Säuglinge und Kleinkinder, die nach Verlust des Nestschutzes gefährdet sind. Das ist bei Impfung der Mutter in der Schwangerschaft nach etwa drei Lebensmonaten der Fall, sonst noch früher. Die aktuelle Impfindikation gilt nur für Kinder mit bestimmten Grundkrankheiten. Hier fällt auf, dass die Adipositas als häufige, bedeutende Grunderkrankung nicht genannt wird.

Weiterhin sollen zwar Personen mit Publikumsverkehr und im medizinischen Bereich geimpft werden, nicht aber Kinder, denen bei der Verbreitung eine Schlüsselrolle zukommt. Personal in Kindertagesstätten (Kitas) und Schulen wird bei den beruflichen Indikationen zur Influenzaimpfung nicht explizit genannt.

Daraus ergibt sich, dass das bestehende Impfprogramm der STIKO sinnvollerweise durch eine Impfempfehlung für alle Kinder ab 6 Monate ergänzt werden könnte. Die WHO empfiehlt die saisonale Impfung auch für gesunde Kinder ohne Grunderkrankungen (https://www.who.int/teams/global-influenza-programme/vaccines/vaccine-use). Das dient einerseits durch den Gemeinschaftsschutz auch dem Schutz der Kinder unter 6 Monaten, die noch nicht selbst geimpft werden können und besonders gefährdet sind, und andererseits der Verminderung der Fallzahlen in der Allgemeinbevölkerung während der winterlichen Epidemie durch Unterbrechung der Infektionsketten. Dies hätte auch zur Folge, dass Kinder mit Grunderkrankungen besser geschützt wären, weil sie auch unter eine allgemeine Impfindikation fallen, wodurch die Impfrate erfahrungsgemäß steigt und die Ansteckungsgefahr durch Altersgenossen geringer wird.

Die für Kinder zur Verfügung stehenden Impfstoffe gegen Influenza sind in Tabelle 1 aufgeführt (www.pei.de/DE/arzneimittel/impfstoffe/influenza-grippe/influenza-node.html). Es gibt 4 Präparate für die parenterale Applikation (Nummern 3,4,5,6), die ab einem Alter von 6 Monaten zugelassen sind. Drei der vier Impfstoffe (Nr. 4,5,6) können auch subkutan verabreicht werden, was bei Nutzung einer feinen Nadel weniger schmerzhaft ist. Während die 4 o.g. Impfstoffe in Hühnerembryonen gezüchtet wurden, gibt es einen weiteren parenteral zu verabreichenden Impfstoff (Nr. 1) mit Zulassung ab 2 Jahren, der in Zellkulturen gezüchtet wird und deshalb kein Hühnereiweiß enthält. Er ist daher der einzige geeignete Impfstoff für Menschen mit einer Allergie auf Hühnereiweiß. Die Dosis beträgt bei allen parenteralen Impfstoffen 0,5 ml.

Zudem gibt es einen Lebendimpfstoff (Nr. 2), der mittels einer Pipette im kleinen Volumen à 0,1 ml in jedes Nasenloch appliziert wird und nur für das Kindes- und Jugendalter zugelassen ist (Alter 2-17 Jahre). Dieser Lebendimpfstoff ist kontraindiziert bei Überempfindlichkeit gegen Inhaltsstoffe (z.B. Gelatine oder Gentamicin), schwerer Ei-Allergie, Immunschwäche (aufgrund von Erkrankungen oder Immunsuppression), schwerem Asthma oder akutem Giemen, Cochlea Implantat, Liquor Leck, Salizylat-Therapie, und Schwangerschaft. Die vom GBA veranlasste Beschränkung der Gabe auf Kinder, bei denen eine Spritzenphobie ärztlicherseits festgestellt wurde, führt dazu, dass dieses kinderfreundliche Präparat ohne die Notwendigkeit eines Stichs häufig nicht genutzt wird, um eine Stigmatisierung des Kindes oder einen Regress des impfenden Arztes zu vermeiden.

Nr. Impfstoffname (®) Zusammensetzung Zulassung Applikation Bemerkungen
1 Flucelvax Tetra Oberflächenantigene aus Zellkultur Ab 2 Jahre i.m. Ohne Hühnereiweiß
2 Fluenz 2024/2025 Attenuierter Lebendimpfstoff 2 bis 17 Jahre Nasal Laut GBA nur bei Spritzenphobie;
Verschiedene Kontraindikationen
3 Influsplit Tetra 2024/2025 Spaltimpfstoff Ab 6 Monate i.m.  
4 Influvac Tetra 2024/2025 Oberflächenantigene Ab 6 Monate i.m.; s.c.  
5 Vaxigrip Tetra 2024/2025 Spaltimpfstoff Ab 6 Monate i.m.; s.c.  
6 Xanaflu Tetra 2024/2025 Oberflächenantigene Ab 6 Monate i.m.; s.c.  

Tabelle 1: In Deutschland zugelassene Influenzaimpfstoffe für die nördliche Hemisphäre und die Saison 2024/2025 (Stand 30.7.2024). Alle Impfstoffe sind an die WHO-Empfehlung für 2024/2025 angepasst und schützen vor den vier („Tetra“) genannten Stämmen: A/H1N1; A/H3N2; B/Victoria; B/Yamagata. Der Influenza B Typ Yamagata wird für 2024/2025 nicht mehr von der WHO empfohlen, weil er verschwunden sei (WHO 2024). CAVE: von der EMA jedoch ist die Zusammensetzung für 2024/2025 noch nicht geändert worden, d.h. es werden weiterhin quadrivalente Impfstoffe empfohlen.
Sowohl bei Indikationsimpfungen gegen Influenza als auch bei der Initiierung einer allgemeinen Impfempfehlung ist die begrenzte Wirksamkeit der verfügbaren Influenzaimpfstoffe, besonders auch bei Säuglingen und im Kleinkindesalter zu berücksichtigen.

Impfhemmnisse: Eine Reihe von Faktoren erschwert die Durchführung regelmäßiger Influenza-Impfungen bei Kindern. Die Impfung muss jährlich wiederholt werden. Bei der ersten Gabe einer Influenza-Impfung bis 9 Jahre muss diese in der gleichen Dosis 4 Wochen danach wiederholt werden. Zudem ist der Ruf der Influenza-Impfung in Teilen der Bevölkerung wie auch der Ärzteschaft nicht gut, was Wirksamkeit und Nebenwirkungen betrifft. Manche Sorgen oder Furcht bei der Impfung von Kindern könnten gemindert oder beseitigt werden, wenn der Patient oder seine Sorgeberechtigten selbst entscheiden könnten, ob sie den traditionellen injizierbaren Impfstoff wählen oder ob sie ab dem Alter von 2 Jahren den nasalen Impfstoff vorziehen. Bisher sieht der G-BA aus Kostengründen diese Entscheidungsmöglichkeit nicht vor (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2023) da. der nasale Impfstoff als unwirtschaftlich eingestuft wird (G-BA, Beschluss vom 05.04.2018). Um den bei der praktischen Umsetzung dieser Wahlmöglichkeit bestehenden logistischen Hindernissen zu begegnen, könnte jede impfende Praxis – nach einer Freigabe durch den G-BA – im Vorfeld der Influenza-Saison entscheiden, welchen der beiden Impfstoffe sie prioritär bevorraten möchte.

Der Impfkalender für Kinder und Jugendliche wird durch Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung erfreulicherweise immer umfangreicher. Dies stellt das Impfmanagement durch die betreuende kinder- und jugendärztliche Praxis vor zunehmende logistische Herausforderungen.

Die Kommission empfiehlt zu prüfen, zukünftig einen Teil der Impfungen (wieder) als Schulimpfungen anzubieten. Impfprogramme gegen Influenza (insbesondere unter der Verwendung nasaler Impfstoffe) durch eine über den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst gestärkte Schulgesundheitspflege in Zusammenarbeit mit für die Schulgesundheit verantwortlichen schulischen Fachkräften böten eine gute Chance für einen (Wieder-)Einstieg in schulische Impfprogramme.

Ausland: In den USA ist die Influenza-Impfung für alle Kinder ab 6 Monaten allgemein empfohlen (American Academy Pediatrics, 2023). In der Schweiz empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit die Impfung von Kindern ab 6 Monaten mit erhöhtem Komplikations- oder Übertragungsrisiko (Bundesamt, 2023). In Österreich ist die Influenzaimpfung für Kinder von 6 Monaten bis 15 Jahren allgemein empfohlen (Bundesministerium, 2023).

Zur erfolgreichen Umsetzung der Empfehlung, alle Kinder ab 6 Monaten jeweils im Herbst vor Beginn der Influenzasaison zu impfen, bedarf es guter Planung mit Durchführung einer Aufklärungskampagne, die andere saisonale Impfungen wie z.B. gegen RSV-bedingte Erkrankungen mit bedenkt, der rechtzeitigen Beschaffung des Impfstoffes und der Bereitstellung und Instruktion des benötigten Personals.

Stellungnahme der Kommission:

  • Die STIKO kennt altersabhängige und risikobedingte Indikationen für die Impfung gegen Influenza. Fast alle sich daraus ergebenden Indikationen sind in den Impfempfehlungen enthalten, mit Ausnahme der Empfehlung zur Impfung aller Kinder ab 6 Monate.
  • Deshalb empfiehlt die Kommission die Impfung gegen Influenza allgemein für alle Kinder ab 6 Monaten.
  • Die Kinder bzw. ihre Sorgeberechtigten sollten die Wahl eines zugelassenen Impfstoffs haben, einschließlich des nasalen Impfstoffs unter Beachtung der Kontraindikationen. Aus logistischen Gründen können impfende Praxen sich entscheiden, ihren PatientInnen nur einen Impfstoff anzubieten.
  • Zudem hält die Kommission es für sinnvoll, dem gesamten Personal in Kitas und Schulen mit regelmäßigem Kontakt zu dort betreuten oder beschulten Kindern und Jugendlichen die Impfung gegen Influenza anzubieten.
  • Weiter ruft die Kommission die verantwortlichen Institutionen dazu auf, jährliche Impfkampagnen gegen saisonale Infektionskrankheiten wie Influenza oder RSV durchzuführen sowie im Infektionsschutzgesetz die (Wieder-) Einführung von Impfungen in Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder zu prüfen.
  • Schließlich empfiehlt die Kommission, unter den Indikationen für eine Influenzaimpfung auch die Adipositas aufzuführen.

Referenzen:

(1) AAP Committee on infectious diseases. Recommendations for prevention and control of influenza in children, 2023-2024. Pediatrics 2023;152:e2023063772

(2) Akmatov MK, Holstiege J, Steffen A, Bätzing J (2020). Inanspruchnahme von Influenzaimpfungen bei chronisch kranken Personen im vertragsärztlichen Sektor – Auswertung der Abrechnungsdaten für den Zeitraum 2009 bis 2018. Versorgungsatlas-Bericht, 20/03. https://doi.org/10.20364/VA-20.03

(3) Bundesamt für Gesundheit und eidgenössische Kommission für Impffragen (2024) Schweizerischer Impfplan 2024

(4) Bundesministerium Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Impfplan Österreich, 5. September 2023

(5) Gemeinsamer Bundesausschuss (2023) Schutzimpfungsrichtlinie (www.g-ba.de)

(6) Grundhewer H (2020) Jährliche Influenza-Impfungen: Teilnahme von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen. Kinder- und Jugendarzt 51:3

(7) Reichert TA, Sugaya N, Fedson DS, Glezen WP, Simonsen L, Tashiro M (2001) The Japanese experience with vaccinating schoolchildren against influenza. N Engl J Med 344:889-896

(8) Rieck T, Steffen A, Feig M, Siedler A (2021) Impfquoten bei Erwachsenen in Deutschland – Aktuelles aus der KV-Impfsurveillance. Epid Bull 50:3-22 | DOI 10.25646/9436

(9) Robert-Koch-Institut (2023) OKaPII-Onlinebefragung von Klinikpersonal zur Influenza-Impfung. Ergebnisbericht 2023. RKI.de

(10) Ständige Impfkommission (2024) Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut 2024. Epid Bull 2024;4:1- 72 | DOI 10.25646/11892.3

(11) WHO (2024) Recommended composition of influenza virus vaccines for use in the 2024-2025 northern hemisphere influenza season (who.int)

 

Stellungnahme der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen des Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit e. V.

Mitglieder: PD Dr. med. Ulrich von Both (München, Kommissionssprecher), Dr. med. H. Grundhewer (Berlin, federführend), Prof. Dr. med. U. Heininger (Basel), Dr. med. Henriette Högl (Berlin), Prof. Dr. med. H.-I. Huppertz (Bremen), Dr. med. A. Iseke (Münster), Prof. Dr. med. M. Knuf (Wiesbaden), Prof. Dr. med. G. Ch. Korenke (Oldenburg), Prof. Dr. med. A. Müller (Bonn),  PD Dr. med. Julia Tabatabai (Heidelberg)

Korrespondenzadresse:

Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit e.V.
Chausseestr. 128/129
10115 Berlin

Tel.: 030.4000588-0
E-Mail: kontakt@buendnis-kjg.de
Internet: www.buendnis-kjg

Stellungnahme als PDF