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Unicef-Appell zum Flüchtlingsgipfel

Schutz von geflüchteten Kindern und Jugendlichen sicherstellen – überall, zu jeder Zeit, für jedes Kind!

Appell der unterzeichnenden Organisationen und Stiftungen an Bund, Länder und Kommunen zur Berücksichtigung des Kinderschutzes beim Aufbau von Unterbringungskapazitäten für geflüchtete Menschen anlässlich des Flüchtlingsgipfels am 10. Mai 2023

 

Kinder und Jugendliche, die in Deutschland Schutz vor Kriegen, Konflikten oder anderen Krisen suchen, leben oftmals für eine längere Zeit in Unterkünften für geflüchtete Menschen, teils sogar Jahre. Solange sie in Unterkünften leben, sind Kinder und Jugendliche strukturell in der Wahrnehmung ihrer Rechte eingeschränkt. Das betrifft beispielsweise ihr Recht auf Bildung, auf Gesundheit, auf Privatsphäre, auf einen angemessenen Lebensstandard, auf Spiel und Freizeit und Teilhabe am kulturellen Leben sowie das Recht auf ein gewaltfreies Leben. Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention, weiterer internationaler Abkommen, europarechtlicher Vorgaben und nationaler Gesetze stehen Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit geflüchtete Kinder und Jugendliche ihre Rechte vollumfänglich wahrnehmen können. Diese Verpflichtung können staatliche Verantwortungsträger*innen im Rahmen einer dezentralen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen besser erfüllen als durch Sammelunterkünfte.

Im Jahr 2022 wurden 81.232 Asylerstanträge von Minderjährigen gestellt. Zudem sind von den über eine Million in Deutschland schutzsuchenden Menschen aus der Ukraine 348.500 Kinder und Jugendliche. Zum Ende des Jahres 2022 lebten außerdem rund 27.900 unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Einrichtungen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe. Wie viele Kinder und Jugendliche insgesamt aktuell in Unterkünften für Geflüchtete oder in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe leben, lässt sich aufgrund der lückenhaften Datenlage nicht exakt beziffern.

Für die Unterbringung und Versorgung von geflüchteten Menschen sind in Deutschland die Länder und Kommunen verantwortlich. Deren bisheriges Engagement hat die Leistungsfähigkeit und die große Solidarität mit schutzsuchenden Menschen in Deutschland unter Beweis gestellt. Die weitere Unterbringung und Versorgung kann jedoch nur in der Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen gelingen.

Die UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet dazu, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass das Kindeswohl auch präventiv im Sinne der bestmöglichen Förderung der Entwicklung des Kindes – so etwa durch kinderfreundliche Orte und Angebote, Zugang zu schulischer Bildung, zu gesundheitlicher Regelversorgung und zu Angeboten der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe – sichergestellt werden muss und nicht erst dann, wenn es gefährdet ist oder ein Verdacht auf Gefährdung besteht.

Kinderschutz bei der Unterbringung

Der aktuell erhöhte Unterbringungsbedarf darf unter keinen Umständen dazu führen, dass der Schutz von geflüchteten Kindern und Jugendlichen gefährdet wird. Gerade in herausfordernden Zeiten muss der Kinderschutz für die verantwortlichen staatlichen Stellen höchste Priorität haben. Das gilt in Aufnahmeeinrichtungen der Länder ebenso wie in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften und Notunterkünften, in urbanen ebenso wie in ländlichen Gegenden. Dabei darf nicht nach Herkunft, Aufenthaltsstatus oder Aufenthaltsdauer der geflüchteten Kinder und Jugendlichen unterschieden werden. Zudem kann die Aufhebung der Wohnverpflichtung in den Aufnahmeeinrichtungen der Länder dazu beitragen, den Kinderschutz zu sichern.

Finanzielle Mittel für wirksamen Kinderschutz

Im Zentrum der laufenden Beratungen steht unter anderem die Frage der Beteiligung des Bundes an den Kosten der Länder und Kommunen bei der Unterbringung von schutzsuchenden Menschen. Die Bundesregierung ist verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, damit auch geflüchtete Kinder ihre Rechte wahrnehmen können. Die Länder sind ihrerseits gemäß der Paragrafen 44, Absatz 2a und 53, Absatz 3 Asylgesetz verpflichtet, geeignete Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Personen in den Unterkünften sicherzustellen. Wirksamer Kinderschutz muss als wesentlicher Bestandteil bei der Unterbringung entsprechend berücksichtigt werden. Beim Aufbau von Unterbringungskapazitäten ist es daher notwendig, finanzielle Mittel für Maßnahmen zum Kinderschutz zweckgebunden zur Verfügung zu stellen.

Öffentliche Kinder- und Jugendhilfe

Für den Kinderschutz in Unterkünften für geflüchtete Menschen spielt die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe eine wesentliche Rolle. Denn auch Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien oder Sorgeberechtigten in Unterkünften für geflüchtete Menschen leben, haben einen Anspruch auf Leistungen, Angebote und Maßnahmen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe. Der Zugang muss daher auch für diese Kinder und Jugendlichen und ihre Familien sichergestellt werden.

In manchen Bundesländern wurden die Standards für die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten abgesenkt. Mancherorts vergehen Monate bis alleine das Clearingverfahren abgeschlossen ist. Für die Kinder und Jugendlichen bedeutet das, in einem Wartezustand verharren zu müssen, bis sie die Unterstützung erhalten, die ihnen zusteht.

Unbegleitete minderjährige Geflüchtete werden zudem in einigen Bundesländern in Sammelunterkünften untergebracht, weil nicht genug Unterbringungsplätze in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zur Verfügung stehen. Das zeigt, dass manche Träger und Jugendämter selbst bei der Inobhutnahme von unbegleiteten geflüchteten Kindern an ihre Grenzen stoßen.

Für den Austausch zwischen Bund, Länder und Kommunen empfehlen wir:
  • Der Bund sollte das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, die Integration von geflüchteten Kindern auch durch schnellen Zugang zu schulischer Bildung zu ermöglichen, konsequent umsetzen.
  • Der Bund sollte bei der Höhe der im Koalitionsvertrag vereinbarten und den Ländern bereits zugesicherten Beteiligung an den flüchtlingsbezogenen Kosten die Umsetzung des Kinderschutzes sowohl in Unterkünften für geflüchtete Menschen als auch in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in denen unbegleitete minderjährige Geflüchtete untergebracht sind, unbedingt berücksichtigen.
  • Bund, Länder und Kommunen sollten bei der Verständigung über Fragen der Unterbringung und Versorgung von schutzsuchenden Menschen die Expertise der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe wie der Jugendämter einbeziehen.
  • Die Länder sollten mittels landesgesetzlicher Regelungen die gemäß §§ 44 Abs. 2a und 53 Abs. 3 AsylG zu ergreifenden „geeignete Maßnahmen“ für den Schutz von Kindern in Unterkünften konkretisieren, sich hierbei an den „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ (BMFSFJ/UNICEF et al., 2021) orientieren und die Umsetzung überprüfen. Sie sollten zudem Rahmenbedingungen für die strukturierte Kooperation der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe mit den rechtlichen Trägern und Betreibern aller Arten von Unterkünften definieren.
  • Länder und Kommunen sollten Absenkungen von Standards bei der Unterbringung und Versorgung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe wieder zurücknehmen und die Standards des SGB VIII einhalten. Es sollten Konzepte dafür erarbeitet werden, wie der Übergang zurück zu den Standards des SGB VIII gut gestaltet werden kann.
  • Länder und Kommunen sollten alle geflüchteten Kinder und Jugendlichen, die in Sammelunterkünften leben, konsequent in der Jugendhilfeplanung berücksichtigen. Damit geflüchtete Kinder und ihre Familien die Leistungen in Anspruch nehmen können, sollten sie in angemessener und ihnen verständlicher Weise über ihre Möglichkeiten informiert werden.

Dieser Appell wird getragen von folgenden Organisationen[1]:

  • Amadeu Antonio Stiftung
  • Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
  • AWO Bundesverband e. V.
  • BBZ Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und Migrant*innen
  • Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e. V. (BAG EJSA)
  • Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e. V.
  • Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit e. V. (Bündnis KJG)
  • Der Kinderschutzbund Bundesverband e. V.
  • Deutsches Kinderhilfswerk e. V.
  • Deutsches Komitee für UNICEF e. V.
  • Deutsches Rotes Kreuz e. V.
  • DGSF – Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V.
  • djo – Deutsche Jugend in Europa Bundesverband e. V.
  • Frauenhauskoordinierung e. V.
  • Handicap International e. V.
  • Internationaler Bund (IB)
  • KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e. V.
  • KRF KinderRechteForum gemeinnützige GmbH
  • Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e. V. (LSVD)
  • National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
  • Plan International Deutschland e. V.
  • Save the Children Deutschland e. V.
  • SOS-Kinderdorf e. V.
  • Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention
  • Stiftung SPI – Sozialpädagogisches Institut Berlin »Walter May«
  • terre des hommes Deutschland e. V.

[1] In alphabetischer Reihenfolge nach ausgeschriebenen Organisationsnamen

Kontakt

Dr. Sebastian Sedlmayr
Leiter Stabstelle Advocacy und Politik
UNICEF Deutschland
bueroberlin@unicef.de