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Abweisung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge an deutschen Grenzen

Als Vertreterin aller pädiatrischer Organisationen in Deutschland drückt die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DAKJ) ihre tiefe Besorgnis darüber aus, dass die Bundesrepublik Deutschland an ihren Grenzen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) abweist mit der Begründung, diese hätten kein Schutzersuchen gestellt.
 
Laut der Antwort des Bundesinnenministeriums vom 25. April an die Bundestagsabgeordnete Walter-Rosenheimer wurden (allein im Zeitraum vom 1.1. bis 31.3.2016!) 309 UMF an deutschen Außengrenzen mit dieser Begründung abgewiesen. Der größte Teil dieser Zurückweisungen (280 Jugendliche) fand dabei an der Grenze von Bayern zu Österreich statt.

Diese Form der Zurückweisung der UMF verstößt nicht nur gegen die fundamentalen internationalen Menschen-, Flüchtlings- und Kinderrechte, die alle von der Bundesrepublik Deutschland anerkannt wurden, sie verstößt auch gegen die Menschlichkeit, die über jedweder politischer Raison stehen sollte.

Als Beispiel für ein tragisches Ende dieses Vorgehens sei auf den Tod eines 17-jährigen Ägypters verwiesen, der sich aus Verzweiflung über die Ausweisung von Deutschland (bzw. Bayern) nach Österreich aus dem Zug stürzte. Auch hier wurde der Junge nicht – wie vorgeschrieben – in die gesetzliche Obhut der Kinder- und Jugendhilfe übergeben, sondern abgeschoben mit der Begründung, dieser habe kein Schutzersuchen gestellt.

Wir weisen darauf hin, dass schon im Schengener Abkommen (Artikel 16, Durchführung von Grenzkontrollen) von den Mitgliedstaaten gefordert ist sicherzustellen, dass die Grenzschutzbeamten über eine besondere und angemessene fachliche Qualifikation verfügen in der Erkennung und Behandlung von Situationen mit schutzbedürftigen Personen, wie unbegleiteten Minderjährigen.

Im Übrigen bitten wir um Beachtung von Artikel 20, Anhangs VII, Sonderbestimmungen für Minderjährige Hierin wird Folgendes gefordert
„6.1. Die Grenzschutzbeamten widmen Minderjährigen unabhängig davon, ob diese in Begleitung oder ohne Begleitung reisen, besondere Aufmerksamkeit. (…)“

In der ALLGEMEINE BEMERKUNG NR. 6 (2005) des UN-AUSSCHUSS FÜR DIE RECHTE DES KINDES zur „Behandlung unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder außerhalb ihres Herkunftslandes“ heißt es:

„V. Berücksichtigung notwendiger allgemeiner und besonderer Vorkehrungen zum Schutz des Kindes
a) Erste Einschätzung und Sofortmaßnahmen
31. Das Wohl des Kindes muss auch Leitprinzip sein, wenn es um die Vorrangigkeit spezieller Schutzbedürfnisse und die zeitliche Reihenfolge der zu treffenden Maßnahmen für unbegleitete und von ihren Eltern/Sorgeberechtigten getrennte Kinder geht. Dieser notwendige erste Einschätzungsprozess umfasst im Einzelnen folgende Schritte
(…)
ii). Die zügige Registrierung im Rahmen einer ersten Befragung durch speziell geschulte, fachkundige Personen in altersgerechter und dem jeweiligen Geschlecht des Kindes angemessener Weise, sowie in einer Sprache, die das Kind versteht, mit dem Ziel, die Lebensdaten und die Lebensgeschichte des Kindes zu erfassen, um seine Identität feststellen zu können, dazu, wenn irgend möglich, die Identität seiner beiden Eltern und weiterer Geschwister, sowie die Staatsangehörigkeit des Kindes, seiner Eltern und Geschwister.“

Ganz offenkundig haben diese Vorschriften aber keine Anwendung gefunden. Wir bitten um Aufklärung über dieses skandalöse Grenzgebahren insbesondere an der bayrisch-österreichischen Grenze.

Die DAKJ sieht sich als Anwältin der Rechte der Kinder und Jugendlichen, in dieser Frage sind wir außerdem im Schulterschluss mit den in der National Coalition zusammengeschlossenen Kinderrechtsverbänden.

Wir erwarten von Ihnen, dass die vorhandenen Gesetze im Sinne des Kindeswohls ausgelegt werden und dass Kinder und Jugendliche nicht wie offensichtlich bislang geschehen mit fadenscheinigen Erklärungen über ein „fehlendes Schutzersuchen“ abgewiesen werden.

Wir fordern Sie auf, sich für eine Aufklärung dieser Umstände einzusetzen und dafür zu sorgen, dass künftig Dolmetscher involviert werden und junge Menschen im Zweifelsfall in die Vormundschaft der Kinder- und Jugendhilfe überstellt werden.

gez. Prof. Dr. med. Manfred Gahr
Generalsekretär