Stellungnahme zur Vergütungsverhandlung sozialmedizinischer Nachsorgemaßnahmen 2024
Zielsetzung
Gewährleistung einer bundesweiten qualitätsgesicherten Versorgung nach stationärem Aufenthalt durch Sicherstellung einer ausreichenden Finanzierung zur Erfüllung des gesetzlichen Versorgungsauftrages
Adressat
- Arbeitsgemeinschaft der GKV/GKV-SV
- Politische Entscheidungsträger Bund/Länder
- Öffentlichkeit und Gesellschaft
Einführung
In den pädiatrischen Abteilungen der Kliniken in Deutschland wurde allein im Jahr 2022 für ca. 10.000 hoch und komplexbelastete Patienten, die insbesondere in den Abteilungen der Neonatologie und der Herzzentren stationär versorgt wurden, eine sozialmedizinische Nachsorge (SMN) nach § 43(2) SGB V verordnet. Davon wurden mehr als 95 Prozent von den Krankenkassen genehmigt. Die daraufhin erbrachte Versorgungsleistung gegenüber Kindern und ihren Familien erfolgte damit im Auftrag und nach den Vorgaben der gesetzlichen Krankenkassen.
Die Sicherstellung der Versorgung nach einem stationären Aufenthalt durch sozialmedizinische Nachsorge und die Leistungserbringung auf hohem Qualitätsniveau ist für Kinderkrankenhäuser und Kliniken mit pädiatrischen Abteilungen deutschlandweit von höchster Bedeutung. Die Entlassung der Kinder lässt sich nachweislich bis zu 20 Tage vorziehen, wenn eine qualitätsgesicherte Anschlussversorgung gewährleistet ist. Dabei sichert die SMN die Erfolge der stationären Versorgung, koordiniert die verordnete Therapie und motiviert Patientenfamilien, die Behandlung in der nachstationären Phase entsprechend den verordneten Maßnahmen umzusetzen. Unnötige, rasche Wiederaufnahmen werden weitgehend vermieden. Die SMN ist damit ein notwendiger, vom GBA insbesondere für sehr kleine Frühgeborene und Kinder mit angeborenen Herzfehlern festgeschriebener, Bestandteil der Versorgungskette.
Aktuelle Situation
Für den Erfolg der Nachsorge ist es unerlässlich, dass diese den Patientenfamilien zeitnah, unabhängig von Wohnort, Herkunft, Sozialstatus und Bildung dauerhaft auf hohem Qualitätsniveau in allen Bundesländern angeboten wird. Dies gilt insbesondere für hoch- und komplexbelastete Patienten(-familien), damit diese in die Lage versetzt werden, die Herausforderungen der Behandlung zu meistern. Diese Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen folgt unmittelbar aus §43(2) SGB V, wenn die dort beschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind.
Derzeit können in vielen Kliniken nur 70-80% der Betten – vornehmlich aufgrund fehlenden Pflegepersonals – belegt werden. Hier vermag eine effektive Nachsorge die Dauer stationärer Klinikaufenthalte deutlich zu verkürzen, um so dringend benötige Aufnahmekapazitäten zu schaffen. Dabei profitiert die Versichertengemeinschaft nicht nur von kürzeren Aufenthalten, sondern auch von der Reduzierung vermeidbarer ungeplanter Wiederaufnahmen.
Unabhängig, auch von regionalen Besonderheiten bleibt das zusätzliche Erfordernis, dass die Kinderkrankenpflegeausbildung angeboten und beworben wird, um dem vorhandenen und sich verschärfenden Pflegepersonalmangel zur Versorgung erkrankter Kinder im stationären und ambulanten Setting entgegenzuwirken.
Die SMN wird inzwischen von 100 engagierten Leistungserbringern mit über 140 Standorten im ganzen Bundesgebiet vorbildlich nach einheitlichen Qualitätsstandards erbracht und ist inzwischen ein unverzichtbarer integraler Versorgungsbaustein, der sich in den vergangenen Jahren fest etabliert hat. Besonders für Früh- und Risikogeborene sowie Patient:Innen mit neuropädiatrischen Erkrankungen, Herz- oder Stoffwechselerkrankungen sowie multikomplexen Krankheitsbildern erweist sich diese Form der Nachsorge als essenziell.
Aktuell finden in mehreren Bundesländern Kassenverhandlungen statt. Eine Erhöhung der Vergütung pro Nachsorgeeinheit (NE) von lediglich 4,2% Grundlohnsummensteigerung, werden dabei in Berlin und Brandenburg als „unverrückbares Maximum“ angeboten. Dem steht jedoch eine zu erwartende Anhebung der Tariflöhne für 2024 von mindestens 8-10% gegenüber, zusätzliche Inflationsausgleichszahlungsvereinbarungen noch nicht eingerechnet. Diese offenkundige Differenz zu den Vergütungsangeboten seitens der GKV führt zu einer existentiellen Gefährdung aller Nachsorgeeinrichtungen, die weder über entsprechende Rücklagen verfügen noch Einsparungen über Effizienzsteigerungen oder sonstige Maßnahmen generieren können. Der Einsatz von Spenden kann für eine gesetzlich verankerte Regelleistung keine Lösung sein, auch wenn dies von Seiten der GKV – wie in der Vergangenheit – unausgesprochen vorausgesetzt wird.
Kostenträger verweigern sich jedoch bisher hartnäckig einer auskömmlichen Finanzierung. In den Bundesländern Berlin und Brandenburg erhalten vier Nachsorgeeinrichtungen aktuell eine Vergütung von 115€ pro NE. Im Schnitt werden pro Fall 18 NE verordnet. Das ergibt bei 700 betreuten Kindern im Jahr 2023 einen Gesamtbetrag von 1.449.000€. Würde die Vergütung pro NE wie bisher angeboten lediglich um 4,2%, d. h. um 5,175€ auf insgesamt 120,175€ pro NE angehoben werden, kann die SMN nicht mehr kostendeckend angeboten werden. Nach unseren Berechnungen ist dafür eine Anhebung um mindestens 25€ auf insgesamt 140€ pro NE erforderlich und hätte lediglich eine Mehrbelastung der GKV von 315.000€ zur Folge. Dem sind jedoch die Kosten durch verlängerte Liegezeiten und vermeidbarer ungeplanter Wiederaufnahmen gegenüberzustellen.
Unbestritten ist, dass Kostenträger zur Wirtschaftlichkeit verpflichtet sind. Und genau hierzu vermag die SMN – wie die nachfolgende Modellrechnung zeigt – einen deutlichen Beitrag zu leisten: Bei einem Tagessatz von 1.000€ und einer Verkürzung der Liegedauer von im Schnitt 10 Tagen für den Raum Berlin/Brandenburg mit rund 700 Nachsorgeeinheiten können danach pro Jahr Einsparungen in Höhe von ca. 7.000.000 € generiert werde. Bei einem flächendeckenden Einsatz von SMN in ganz Deutschland ließe sich damit bei im Durschnitt 10.000 betreuten Kinder ein Einsparpotential von insgesamt 100.000.000€ für die Kostenträger generieren. Leider können viele Kliniken auf das Angebot der SMN nicht zurückgreifen, da diese in den Flächenländern im Rahmen der gesetzlichen Regelleistung nicht kostendeckend darstellbar sind.
Aufgrund fehlender Angebote seitens der Kostenträger für eine auskömmliche Finanzierung des gesetzlichen Nachsorgeauftrages sehen sich daher anerkannte Nachsorgeeinrichtungen in Berlin und Brandenburg schon jetzt gezwungen den Kinderkliniken mitzuteilen, dass ab 1. April 2024 die Sicherstellung einer SMN nicht mehr im gewohnten Umfang gewährleistet werden kann. Denn Nachsorgeeinrichtungen sind zwar berechtigt die SMN zu erbringen, aber sie sind dazu auch nicht verpflichtet. Um dem Nachsorgeauftrag dennoch kostendeckend nachzukommen zu können, bemühen sich viele Versorgungseinrichtungen daher weiterhin um eine „Querfinanzierung“ durch Spenden. Wenn sich jedoch das ohnehin knappe Nachsorgepersonal verstärkt um die Einwerbung von Spendengeldern kümmern muss, kann dieses naturgemäß nicht mehr für alle genehmigten Nachsorgemaßnahme zur Verfügung stehen. Verordnenden Ärzte sind daher gehalten bereits frühzeitig bei Nachsorgeeinrichtungen anzufragen, ob für den Einzelfall überhaupt finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um die Nachsorgemaßnahme nach den Vorgaben der GKV zu erfüllen.
Kommt es also zu keiner Einigung zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern, droht spätestens ab Juli 2024 ein massiver Personalabbau im Raum Berlin/ Brandenburg und weitere Bundesländer werden folgen. Ein Ausbleiben der Nachsorgemaßnahmen führt jedoch unweigerlich zu verlängerten Klinikaufenthalten, da die Sicherstellung der verordneten Therapie durch die SMN nicht mehr gewährleistet werden kann und damit werden auch Behandlungserfolge der stationären Versorgung in Frage gestellt. Darüber hinaus werden sich die Versorgungsengpässe durch die Reduzierung der SMN insbesondere in den Flächenländern weiter verschärfen.
Fazit
Das Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit e.V. betrachtet die SMN als integralen Baustein in der Versorgungskette und damit als unverzichtbaren Beitrag in einer patientenzentrierten sektorübergreifenden Versorgung chronisch Erkrankter an der Schnittstelle von stationärer zur gesicherten ambulanten Behandlung. Eine unzureichende Vergütung darf die Versorgung mit SMN nicht gefährden. Von den Kostenträgern muss daher sichergestellt werden, dass der berechtigte Anspruch chronisch kranker Kinder bzw. von Kindern mit besonderen Bedarfen auf SMN beim Übergang von der stationären Behandlung in die häusliche Versorgung als Pflichtleistung an jedem Wohnort gewährleistet werden kann.
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