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Stellungnahmen

Stärkung der Ausbildung und Weiterbildung zum/zur Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger:in

Berlin, November 2023

Positionspapier des Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit e.V.

Positionspapier als PDF

Zweck und Zielsetzung des Positionspapiers

  • Bekanntmachung der aktuellen Situation in der Kinderkrankenpflege und der Gefährdung der stationären und ambulanten Versorgung von Kindern und Jugendlichen
  • Sensibilisierung der politischen Entscheidungsträger (u.a. Abgeordnete, Gesundheitsausschuss, Arbeitsebenen BMG, Minister, GMK) für die Prekarisierung der pflegerischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen und den dringenden Handlungsbedarf
  • Information und Argumentationsgrundlage für Entscheidungsträger im Gesundheitsbereich bereitstellen
  • Meinungsbildung von Interessenvertretern mit Hinweis auf die zunehmende Gefährdung von Daseinsvorsorge und Versorgungsgerechtigkeit
  • Förderung der Ausbildungsqualität und Quantität (Vertiefung pädiatrische Versorgung und Spezialisierung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger:in) in der generalistischen Pflegeausbildung

Zielgruppen für das Positionspapier

  • Politische Entscheidungsträger
  • Öffentlichkeit und Gesellschaft
  • Kinderkliniken und Kinderabteilungen
  • Ausbildungsträger (Schulen, Kliniken, u.a.)
  • Fachgruppen und Fachgremien (Pflege, Ärzte u.a.)
  • Auszubildende und Schüler

Grundlagen

Artikel 8 der EACH-Charta: „Kinder haben das Recht auf Betreuung durch Personal, das durch Ausbildung und Einfühlungsvermögen befähigt ist, auf die körperlichen, seelischen und entwicklungsbedingten Bedürfnisse von Kindern und ihren Familien einzugehen.“ [1]

Voraussetzungen, um auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern und ihren Bezugspersonen einzugehen, sind eine qualifizierte Kinderkrankenpflege Ausbildung, berufliche Erfahrung mit Einfühlungsvermögen sowie eine Kinderschutzausbildung. Dies gilt insbesondere bei kritischen oder lebensbedrohlichen Situationen und schließt ggf. die palliative Pflege mit ein. Das Personal ist auch fähig, alle Eltern, deren Kinder krank sind, emotional zu unterstützen. Eine hohe pflegerische Versorgungsqualität benötigt eine exzellente Spezialisierung in der Pflege, vor allem für kranke Kinder und Jugendliche, für die eine kinderkrankenpflegerische Versorgung, auch unter haftungsrechtlichen Gründen, sichergestellt werden muss. Dies bedeutet, dass Kinder und Jugendliche von Pflegenden ohne entsprechende Qualifikation nicht versorgt werden dürfen! Diese Position teilt der G-BA, der für besonders vulnerable Patienten eine spezielle bzw. zusätzliche Qualifizierung fordert, ohne die keine Patientenversorgung erlaubt ist.

Einleitung und Problemdarstellung

Die Attraktivität des Pflegeberufs geht in Deutschland in den letzten Jahren zurück. Der Gesetzgeber hat schon seit längeren Maßnahmen getroffen, um hier gegenzusteuern – diese sind in der Gesamtbilanz jedoch unzureichend und vielfach sogar kontraproduktiv. So ist der Gesetzgeber mit Einführung der generalistischen Pflegeausbildung davon ausgegangen, das Berufsbild „Pflege“ insgesamt für die Auszubildenden attraktiver zu machen und die Flexibilität der Curricula zu erhöhen. Leider nimmt der Mangel weiter zu, und der negative Trend hinsichtlich der Gesamtzahl der Auszubildenden und des Interesses und der Wahlmöglichkeit einer Spezialisierung bildet sich auch und zunehmend in der pädiatrischen Versorgung in den Kliniken ab:

Die aktuellen Zahlen im Jahr 2023 gehen von einem Rückgang der Pflegeauszubildenden von -7,2 % im Vergleich zum Vorjahr aus [2], obwohl bereits im ersten Bericht der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) [3] im Jahr 2020 ein Zuwachs von +10% bis 2023 vereinbart wurde – ein mittlerweile unerreichbares Ziel. Derzeit fehlen in Deutschland ca. 100.000 Pflegekräfte [4] für den Betrieb aller stationären Krankenhausbetten.

Für die Kinderkliniken in Deutschland zeichnet sich ein dramatischer zunehmend existentieller Mangel an qualifiziertem Fachpersonal in der Kinderkrankenpflege ab: So fehlten im Jahr 2020/21 allein in NRW 1.451 Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger:innen [5], woraus sich bei entsprechender Hochrechnung für Deutschland weit mehr als 6.500 fehlende Arbeitskräfte ergeben würden. Zudem gibt es aus den Berichten zum „Klärenden Dialog QFR-RL“ [6], deutliche Hinweise, dass im Bereich der Neonatologie eine enorme Zahl an Fachkräften fehlt.

Die Tendenz dieser Fehlentwicklung ist steigend, mit einer Defizitprognose von ca. 600 Vollzeitkräfte/anno [7]. Die große Mehrheit der Bundesländer, viele Krankenpflegeschulen und ihre Träger lassen kein ernsthaftes Interesse an der Kinderkrankenpflegeausbildung erkennen. So hat beispielsweise Bayern keine einzige Schule, die das Wahlrecht nach §59 PflBG umsetzt und in Berlin werden nur wenige Ausbildungsplätze vorgehalten.

Erschwerend kommt hinzu, dass durch das novellierte, am 01. Januar 2020 in Kraft getretene Pflegeberufegesetz (PflBG) und bedingt durch die generalistische Ausbildung ab 2023 Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger:innen und Altenpfleger:innen mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt kommen werden. Träger von Kinderkrankenhäusern und -abteilungen stehen daher ab 2023 vor dem Problem, dass Absolvent:innen für den Einsatz in Kinderkliniken in sehr unterschiedlicher Weise nachqualifiziert werden müssen. Denn obwohl die generalistische Pflegeausbildung „rein formal“ für den Einsatz bei allen Altersstufen qualifiziert, erfüllen die Absolvent:innen ohne den vertiefenden oder spezialisierten Abschluss in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege nicht die qualitativen resp. inhaltlichen und praktischen Voraussetzungen für den Einsatz bei Kindern und Jugendlichen.

Der o.g. dramatische Mangel an qualifiziertem Fachpersonal in der Kinderkrankenpflege ist nicht allein durch ein zunehmendes Missverhältnis zwischen Ausbildungsplätzen und Stellenbedarf entstanden, sondern ist das Resultat einer ganzen Reihe von weiteren gesundheitspolitischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Entwicklungen:

  • Die – gesundheits- und gesellschaftspolitisch sinnvollen – Vorgaben der PpUGV und die qualitätsorientierten Vorgaben des G-BA zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen, zur Kinderonkologie und zur Kinderherzchirurgie haben zu einem deutlich erhöhten Bedarf an spezialisiertem Kinderkrankenpflegepersonal geführt, der den Mangel zusätzlich verschärft.
  • In der Corona Pandemie und für das Kinderkrankenpflegepersonal danach nochmals in der RSV-Welle 2022/2023 wurde die PpUG-Sanktionsvereinbarung ausgesetzt, so dass qualifiziertes Fachpersonal sich aus Überlastung Beschäftigungsalternativen (z.B. in Kindertagesstätten, Kindergärten) suchte. Eine weitere Verschärfung des bestehenden Mangels lässt eine weiter zunehmende „Abwanderung“ befürchten.
  • Die krankheitsbedingten Ausfallzeiten von qualifiziertem Fachpersonal im Krankenhaus sind 2023 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich angestiegen. Ausnahmetatbestände gemäß der PpUGV werden deshalb deutlich häufiger festgestellt, was zu einer Mehrarbeit, Mehrbelastung und Arbeitsdruck der verbliebenen Mitarbeiter:innen bzw. zu Verlegungen der Kinder und Jugendlichen führt.
  • Aufgrund des demographischen Wandels und des für die nächsten 10-12 Jahre jährlich zunehmenden altersbedingten Ausscheidens der geburtenstarken Jahrgänge ist die „Bilanz“ des Pflegepersonalbestands in den einzelnen Kinderkliniken „doppelt“ negativ.
  • Eine zusätzliche Nachqualifizierung bei einer durchschnittlichen Verweildauer im Beruf von ca. 13 Jahren [8] ist unverhältnismäßig, zumal i.d.R. die Zeit bis zur „Familienplanung“ relativ kurz ist und eine Rückkehr in den Beruf oft mit einer Teilzeitbeschäftigung der Pflegenden einhergeht.

Forderungen

Grundsätzlich steht eine Spezialisierung innerhalb des Pflegeberufs, wie sie die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) und auch das Pflegeberufegesetz (PflBG) vorsehen, nicht zur Diskussion:

  • Die Komplexität des Gesundheitssystems und die Spezialisierung in der Medizin setzen Spezialisierung in der Pflege voraus und sind international üblich
  • Spezialisierung erlaubt das Wissen und die Fähigkeiten auf bestimmte Bereiche zu konzentrieren, damit eine höhere Qualität in der Patientenversorgung sicherzustellen und bessere Ergebnisse zu erzielen
  • Spezialisierung führt zu effizienter Arbeit, da gezielter auf die Bedürfnisse der Patienten eingegangen wird
  • Spezialisierte Pflegende sind ein wichtiges Element einer zukünftigen Krankenhausplanung

Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur ein Gebot der EACH-Charta (s.o.) sondern auch der Versorgungsgerechtigkeit im Deutschen Gesundheitssystem, qualifiziertes Fachpersonal zur Pflege kranker Kinder und Jugendlicher in ausreichender Zahl auszubilden und zu beschäftigen. Für den Ausbildungsberuf der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege ist die 3-jährige, spezialisierte Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflege (§§59ff PflBG) zu bevorzugen und die gezielte Förderung der Ausbildung mit Vertiefung in der pädiatrischen Versorgung zu fordern. Dies bedeutet, die Spezialisierung innerhalb der generalistischen Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu stärken und darüber hinaus eine bundesweit einheitliche Zusatzausbildung und Anschlussqualifikation der generalistischen Pflegeausbildung nach dem Vorschlag von GKinD und BeKD [9] einzurichten.

Im Einzelnen sind folgende Maßnahmen zu fordern, um im Sinne von Daseinsvorsorge und Versorgungsgerechtigkeit eine flächendeckend ausreichende Versorgung sicherzustellen und dem Schwund an qualifizierten Pflegefachkräften für die pflegerische Versorgung von Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken:

  • Erhöhung der Ausbildungskapazitäten in der pädiatrischen Pflegeausbildung durch Rechtsverordnung der Länder und Freigabe von pädiatrischen Ausbildungskapazitäten für die Vertiefung durch Umverteilung der Praxisanteile in den verschiedenen Vertiefungsansätzen.
  • Aufforderung zur aktiven Ausübung des gesetzlich garantierten Wahlrechts zur Spezialisierung in der Kinderkrankenpflege und grundsätzliche Verpflichtung zur pädiatrischen Pflegeausbildung an allen Kinder- und Jugendmedizinischen Kliniken (jeweils nach § 59 PflBG i.v.m. § 60 PflBG).
  • Änderung der PpUG-Sanktionsvereinbarung mit Einführung einer Pflicht zur Erweiterung von Ausbildungskapazitäten bei regelmäßiger Verletzung der PpUGV.
  • Bundeseinheitlich gültige Ausbildungsregelungen, um die bundesweite Durchlässigkeit des Ausbildungssystems zu gewährleisten. Organisation pflegerischer Aus- und Weiterbildungen z.B. in einer modularen Struktur mit bundesweiter Durchlässigkeit und Anerkennung der Qualifizierungsmaßnahmen.
  • Möglichkeit einer berufsbegleitenden Anschlussqualifizierung von anderweitig vertieft weitergebildeten Pflegekräften mit aufwandsgerechter Finanzierung von Ausbildungskosten (Träger, Pflegeschulen) und Abbildung des Tariflohns im Pflegebudget.
  • Bundesweite wissenschaftliche Erhebung zum Bedarf an Fachpersonal für Kinderkrankenpflege mit Daten zur Zahl nicht betreibbarer Bettenkapazitäten in der konservativen und operativen Kinder- und Jugendmedizin, zu Ausbildungskapazitäten im Vertiefungsansatz Pädiatrie und in der Spezialisierung sowie zu den bestehenden Ausbildungsplätzen.
  • Bundesweite Öffentlichkeitskampagne zu den Pflegeberufen in seiner Differenziertheit mit Betonung des Wahlrechts und der Pflegeschwerpunkte.

Referenzen

  1. Charta der European Association for Children in Hospital
  2. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/04/PD23_134_212.html
  3. Bundesgesundheitsministerium Umsetzungsbericht_KAP
  4. https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-studie-in-krankenhaeusern-fehlen-rund-100000-pflege-stellen-gesetzesvorschlaege-des-3134.htm
  5. https://broschuerenservice.land.nrw/default/shop/Landesberichterstattung_Gesundheitsberufe_2019
  6. Gemeinsamer Bundesausschuss -Berichte-klaerender-Dialog.pdf
  7. GKinD-Umfrage zur Ausbildungsplatzsituation, 2020 und der VLKKD-Umfrage, 2021
  8. https://www.mags.nrw/pressemitteilung/studie-berufseinmuendung-und-verbleib-der-pflege-nord-rhein-westfalen-zahl-der
  9. https://bekd.de/wp-content/uploads/2023/07/Empfehlungen-Anschlussqualifizierung-2023_07_ak-tual.pdf

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