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Gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen

Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt, dass die UN-Kinderrechtskonvention Grundlage für den Umgang mit Minderjährigen ist, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Dies begrüßen wir, die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) und die in unserem Dachverband zusammengeschlossenen kinder- und jugendmedizinischen Gesellschaften, sehr. Leider müssen wir feststellen, dass gegenwärtig die meisten ausländerrechtlichen Gesetze gegenüber minderjährigen Flüchtlingen diskriminierend wirken. Auf diesen Umstand hat auch Anfang dieses Jahres der Ausschuss für die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen in seinen „Concluding Observations“ hingewiesen.

Die Details, von denen wir bezüglich der aktuellen Novellierung des Asylbewerberleistungs-gesetzes (AsylbLG) erfahren haben, erwecken bei uns leider nicht den Eindruck, dass diese Kritik bislang Beachtung gefunden hätte, und zwar weder in Ihrem Ministerium noch im Ministerium für Inneres.

Die konkrete Diskriminierung von Flüchtlingen zeigt sich in einem unzureichenden Zugang zu gesundheitlicher Versorgung, zu Bildung und zu sozialer Teilhabe. Dadurch werden Kinderrechte verletzt und die Integration von Kindern und Jugendlichen, die zum Teil sehr lange oder dauerhaft in Deutschland bleiben, wird verhindert. Mit dem Begriff „Flüchtlinge“ meinen wir im Übrigen alle Personen, die wegen der Verhältnisse in ihrem Herkunftsland in Deutschland Aufenthalt begehren und die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) leistungsberechtigt sind.

Wir sind der Auffassung, dass bei der Umsetzung des Ausländerrechts stets die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention beachtet werden müsste. Insbesondere Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention zur Gesundheitsvorsorge beschreibt ganz konkret, welche umfassenden Rechte auch minderjährige Flüchtlinge haben sollten. So heiße es in Absatz 1: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit. Die Vertragsstaaten bemühen sich sicherzustellen, dass keinem Kind das Recht auf Zugang zu derartigen Gesundheitsdiensten vorenthalten wird.“

Die Realität in Deutschland sieht aber anders aus. So werden nach § 4 AsylbLG nur die Kosten für die Behandlung akuter Krankheiten und Schmerzzustände erstattet. Nicht erstattet werden dagegen in aller Regel präventive Leistungen wie Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen, Kariesprophylaxe und Zahnspangen, Sehhilfen, die Behandlung chronischer Erkrankungen, die Heil- und Hilfsmittelversorgung von behinderten Kindern sowie die Behandlung von psychisch traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Zusätzliche Leistungen können zwar für sonstige unerlässliche Behandlungen zur Sicherung der Gesundheit gewährt werden: So kann nach § 6 Absatz 2 in Verbindung mit § 4 AsylbLG Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Absatz 1 AufenthG besitzen und die besondere Bedürfnisse haben, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige, bereits heute die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt werden. § 6 Absatz 1 AsylbLG ermöglicht es daneben auch anderen Leistungsberechtigten sonstige Leistungen zu gewähren, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Die Realität ist aber, dass in der Regel medizinisch nicht oder nicht ausreichend geschultes Personal in den Sozial- und Ausländerbehörden den Gesundheitszustand der potentiell Leistungsberechtigten einschätzt. Dabei werden häufig gravierende gesundheitliche Probleme übersehen bzw. falsch bewertet. Diese unseres Erachtens nicht ausreichend qualifizierten Mitarbeiter bestimmen über das weitere Schicksal von Menschen. Hier besteht eindeutig Änderungsbedarf: Nur medizinisch ausreichend geschultes Personal kann körperliche und seelische Krankheiten adäquat erkennen und angemessene Maßnahmen in die Wege leiten.

Fakt ist: Aufgrund dieser Ermessenregelung haben Asylbewerber einen erschwerten Zugang zur gesundheitlichen Versorgung, gerade auch im Bereich der psychischen Gesundheit. So ist uns bekannt, dass meist sehr lange Wartezeiten bei Therapieeinrichtungen für Folteropfer und traumatisierte Flüchtlinge bestehen.

Auch bezüglich der gesundheitlichen Versorgung von bereits anerkannten Flüchtlingen, für die das Regelangebot der gesetzlichen Krankenversicherung gilt, gibt es noch viel zu tun. Hier bestehen z.B. bei der Behandlung von Traumafolgestörungen häufig Sprachbarrieren, die durch die ausreichende Übernahme von Dolmetscherkosten beseitigt werden müssten.

Zusammenfassend möchten wir Sie um die Umsetzung folgender Maßnahmen im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen bitten:

  • Das AsylbLG muss unter strenger Beachtung der UN-Kinderrechtskonvention geändert werden.
  • Der Zugang zu Gesundheit, Bildung und Arbeit muss unabhängig von Aufenthaltsstatus und Alter gewährleistet sein. Alle Kinder und Jugendliche (und natürlich auch deren Eltern) müssen vollen Zugang zu allen Gesundheitsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen bekommen. Es darf keine Kinder zweiter Klasse mehr geben!
  • Staatliche Behörden brauchen medizinisch ausreichend geschultes Personal, das zudem ein Bewusstsein (im Sinne einer „gender and migrational awareness“) für die besonderen Schicksale der Flüchtlinge mitbringt.

Die Bundesregierung verweist im Zusammenhang mit der Ausführung des AsylbLG häufig auf die Länder und Kommunen, die zuständig sind. Auch auf dieser Ebene sind wir als kinder- und jugendmedizinischer Dachverband bemüht, Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu leisten. Unseres Erachtens ist es aber die Bundesregierung, die bei einer Neufassung der Aufnahmerichtlinie besonders darauf achten muss, dass die ausreichende gesundheitliche Versorgung von Asylbewerbern in den Blick genommen wird und die bislang unhaltbaren Bedingungen für Erwachsene, Kinder und Jugendliche gleichermaßen verbessert werden.

Die wichtigen Flüchtlingshilfeorganisationen weisen zu Recht immer wieder darauf hin, dass der Blick auf die Gesetze und Statistiken nicht vergessen lassen dürfe, welche dramatischen Einzelschicksale sich dahinter verbergen: Ängste, verstörende Erlebnisse und Traumatisierungen, Mangelernährung und Krankheiten, zerrissene Familien, unterbrochene Lebensläufe, entgangene Schulbildung und vieles mehr mussten bzw. müssen die meisten Flüchtlinge erleiden. Vor allem unbegleitete Kinder und Jugendliche sind auf der Flucht zudem Opfer von Vernachlässigung, Ausbeutung, Gewalt, sexuellem und anderem Missbrauch geworden.

Wir bitten Sie, diesen betroffenen Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen und bei der Ausgestaltung des AsylbLG immer die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention im Blick zu haben. Bitte setzen Sie sich als zuständige Ministerin für eine sozialdemokratische Handschrift bei der Novellierung des Gesetzes ein!

gez. Prof. Dr. med. Manfred Gahr, Generalsekretär der DAKJ e.V.


Auf den Brief haben folgende Ministerien reagiert:

Bundesministerium für Gesundheit
Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr
Hessisches Ministerium für Soziales und Integration
Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Rheinland-Pfalz
Sächsisches Staatsministerium des Innern